Japan

Yotsuya Kaidan – Eine Geistergeschichte

Seit einiger Zeit bin ich fasziniert von japanischen Geistergeschichten. Sie sind vielfältig, häufig schockierend gruselig und sehr kreativ. Die wohl bekannteste Geschichte ist der tragische Fall von Oiwa und Iemon. Ein Kabuki-Stück, das 1825 von Tsuruya Nanboku verfasst worden ist und heute noch aufgeführt wird. Der komplette Name ist Tōkaidō Yotsuya Kaidan*. In diesem Beitrag möchte ich kurz die Geschichte zusammenfassen, ein paar Worte über die so genannten Onryō (Rachegeister) verlieren und zeigen, was ich gerade an dieser Geschichte so spannend finde.

Die Geschichte

Oiwa war die Frau des herrenlosen Samurai (Rōnin 浪人) Iemon. Sie lebten gemeinsam auf dem Gebiet des heutigen Tōkyō und hatten einen Sohn. Allerdings verliebte sich die Tochter eines angesehen Fürsten in Iemon, der durch die Verbindung mit der jungen Frau eine Chance auf Anstellung witterte. Er benutzte die Medizin, die Oiwa nach der Schwangerschaft noch zu sich nahm, und vergiftete sie, sodass eine Seite ihres Gesichts entstellt wurde. Es kam zum Streit, in dessen Folge sowohl Oiwa als auch ihr Sohn starben. Iemon gab nicht viel darum und wollte die Tochter des Fürsten zur Frau nehmen, doch von da an suchte ihn Oiwa heim. Sie tauchte zum Beispiel als Geist aus einer Laterne auf oder in verschiedenen Gestalten vor seinem inneren Auge, sodass Iemon völlig verwirrt letztlich seine zukünftige Frau ermordete. Es folgte eine Odyssey, in der Iemon versuchte, sich dem Fluch von Oiwa zu entziehen – ohne Erfolg. Er flüchtete in Einsamkeit auf einen Berg und verliert den Verstand bis er durch die Hand eines anderen hingerichtet wird.

Es heißt, die Geschichte beruht auf einer wahren Begebenheit. Oiwas Grab befindet sich heute auf dem Friedhof in Aoyama.

Oiwa als Rachegeist – Onryō

Rachegeister sind eine spezielle Form japanische Geister (Yūrei) und werden auf Japanisch Onryō 怨霊 genannt. Das Wort setzt sich zusammen aus dem Verb “uramu”, das mit “einen Groll hegen” übersetzt werden kann, und dem Wort “rei”, das als “Seele” übersetzt wird, zusammen. Seele meint hier nicht den christlichen Begriff, sondern ist ein buddhistisch, shintoistisch geprägtes Wort. Die ungefähre deutsche Übersetzung von Onryō kann daher Rachegeist lauten, obwohl sich der japanische Begriff deutlich stärker auf eine wütende Seele bezieht, die ihren Körper verlassen hat. Demnach sind Rachegeister bösartig und gewalttätig. Sie haben sehr oft noch eine unvollendete Aufgabe, die sie in der Welt der Lebenden festhält und etwas mit dem Umstand ihres Todes zu tun hat wie es zum Beispiel bei Oiwa der Fall ist, die durch Iemons hinterhältiges Verhalten zwischen den Welten festgehalten wird und erst Ruhe gibt, wenn er seine Strafe findet.

Oiwa wird in der Kunst als japanischer Geist mit den klassischen Merkmalen dargestellt. Sie trägt einen weißen Begräbniskimono, hat lange, offene Haare, die wild um ihren Kopf wehen, anstatt dass sie ordentlich auf den Kopf gesteckt sind. Außerdem schwebt sie leicht über dem Boden und wird begleitet von einer Flamme (Tamashī), die ihre Seele darstellt. Ein beliebtes Motiv ist, wie sie aus der Laterne steigt, um Iemon heimzusuchen.

Oiwa steigt aus der Laterne. Illustration inspiriert von Kuniyoshis Holzschnitt.

Was fasziniert mich an der Geschichte?

Rache ist in vielen Geschichten ein starkes Motiv und das weltweit. Gerade die mütterliche Wut auf unrechtes Tun wird jedoch selten thematisiert. Viel öfter ist es der Mann, der sich an dem Tod der Frau rächt. Hier jedoch zeigt sich eine starke weibliche Wut, die nicht nur durch das eigene Unrecht gestärkt wird, sondern auch durch den Tod des eigenen Kindes. Ich finde es großartig, dass Iemon, den man als umsympathischen Menschen kennenlernt, nicht mit seinem Verhalten davonkommt, sondern im Gegenteil, die Konsequenzen dafür tragen muss. Damit hat die Geschichte für mich eine klare moralische Botschaft, die ich sehr schätze und vor allem von Märchen kenne.

*東海道四谷怪談 – Kaidan heißt übersetzt Gruselgeschichte

Quellen

https://en.wikipedia.org/wiki/Yotsuya_Kaidan (Deutsch)
https://www.kabuki21.com/yotsuya_kaidan.php (Englisch)
2005: “Yoshitoshi’s Strange Tales”, John Stevenson, Hotei publishinghttp://enmokudb.kabuki.ne.jp/repertoire/725

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Genre: Mystery | Psycho-Thriller | Horror
Ebook: 3,99€ | Taschenbuch: 10,99

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Japan

Die Legende des Yūrei-Daki

Japanische Geistergeschichten erfreuen sich in der modernen Popkultur größter Beliebtheit. Immer wieder werden sie zum zentralen Thema von Gruselgeschichten und nicht selten verlegen Autor*innen ihren Handlungsort sogar nach Japan. Zwischen 2013 und 2014 besuchte ich an der japanischen Dokkyō Universität ein Seminar über japanische Geister (Yūrei 幽霊). Wir sprachen über Definitionen, Kunst und die Originalgeschichten. Im englischen Sprachraum gibt es eine Vielzahl an Publikationen zum Thema und reichlich Übersetzungen von Legenden aus dem Japanischen. Der deutsche Sprachraum hat da eher wenig zu bieten. Dieser Blogbeitrag wird sich mit einer von vielen Geschichten beschäftigen, der Legende des Yūrei-Daki. Zuerst stelle ich die Geschichte vor, dann gibt es noch ein paar interessante Details und etwas Wortanalyse. Da es sich um eine schaurige Geschichte handelt, kann dieser Beitrag für Manche schockierend sein.

Die Legende

Die Geschichte des Yūrei-Daki ist zuerst 1925 im deutschen Sprachraum erschienen. Der Autor ist Lafcadio Hearn, der auch unter dem japanischen Namen Yakumo Koizumi bekannt ist. Er ist Ende des 19ten Jahrhunderts nach Japan eingewandert und hat dort durch Heirat die japanische Staatsbürgerschaft erlangt. Was insofern relevant ist, da er die japanischen Legenden vor Ort erfasst hat und nicht etwa aus dem Japanischen übersetzte.

In der Legende des Yūrei-Daki geht es um eine Gruppe von Arbeiterinnen, die nach einem anstrengenden Arbeitstag in der Hanffaktorei um einen Kohlekessel herumsitzen und sich gegenseitig Gruselgeschichten erzählen. Im Verlauf des Abends fordern sie sich gegenseitig zu einer Wette heraus. Wer von ihnen sich traut, zum Yūrei-Daki zu gehen, bekommt den gesamten versponnenen Hanf des Tages von allen Frauen geschenkt. Als Beweis soll die Opferbüchse vor dem Schrein am Wasserfall mitgebracht werden. Eine junge Frau (Okatsu Yasumoto), die einen zweijährigen Sohn hat, nimmt die Wette an und macht sich auf den Weg zum Wasserfall. Dort angekommen, wird sie vom Gott mit drohender Stimme angesprochen, als sie die Opferbüchse an sich nehmen möchte. Doch sie hört nicht auf die Drohung, stielt die Büchse und läuft eilig zurück zu den anderen Frauen. Ohne weiteren Schaden kehrt sie zurück und wird für ihren Mut gelobt. Das Grauen befindet sich jedoch auf ihrem Rücken. Ihrem Kind, das sie mit Tragetüchern auf dem Rücken trägt, fehlt der Kopf.

Details zur Geschichte

Auffällig ist, dass zu Beginn von dem Schrein eines Gottes (kami) am Wasserfall die Rede ist. Was natürlich passt, denn Opferbüchsen (Holzkästen mit Schlitzen auf der Oberseite) stehen nur vor Schreinen oder Tempeln* und diese werden für Gottheiten errichtet. Man stellt sich für gewöhnlich in etwas Abstand davor und wirft eine Münze hinein, danach klatscht man in die Hände, verbeugt sich und äußert in Gedanken einen Wunsch, der bestenfalls zur Gottheit passt. Man wünscht sich gute Leistungen in einer Prüfung, Gesundheit oder Glück in der Liebe. Die Münze ist die Opfergabe und das Klatschen erregt die Aufmerksamkeit. Gottheiten müssen dabei nicht zwingend sanftmütig oder gut sein, sie haben tatsächlich relativ menschliche Eigenschaften. Es gibt Schreine, in denen hängen zum Beispiel verschiedene Glocken und Gegenstände, da die Gottheit sehr verspielt ist. Das heißt, das Geisterhafte in der Geschichte ist nicht etwa der Gott selbst, der Okatsu anspricht, sondern der nächtliche Kontext, die gruselige Szenerie sowie der Wasserfall selbst. Und der Gott bestraft Okatsu für ihr unmoralisches Handeln.

Interessant ist auch, dass es den besagten Wasserfall tatsächlich gibt. Er befindet sich in der Präfektur Tottori (südwestliches Japan) und kann über google Streetview betrachtet werden. Es handelt sich um einen mehrere Meter hohen Wasserfall, der im Nebel sicher schaurig aussehen kann und dessen herabstürzendes Wasser im Dunkeln wohl furchteinflößend klingt. Auch den besagten Schrein aus der Geschichte seht ihr auf einem Foto. Inzwischen heißt der Wasserfall allerdings anders: Ryūō-Taki (竜王滝 ), des Drachenkönigs Wasserfall. Wer Chihiros Reise ins Zauberland gesehen hat, weiß, dass Flüsse oft mit Drachengottheiten in Verbindung gebracht werden (schlangenartiger Lauf etc.).

Ein bisschen Japanisch

Nun noch etwas Japanisch. Der vollständige Titel aus dem Japanischen heißt 幽霊滝の伝説 (Yūrei-daki no densetsu). Er setzt sich aus zwei Substantiven und einem Partikel zusammen. Ich möchte die sechs Zeichen kurz aufschlüsseln und eine Übersetzung anbieten. Ihr seht zuerst die Zeichen des Wortes, dann die Lesung, die Wortart und zum Schluss eine mögliche Übersetzung.

幽かに (kasukani) Adjektiv – leise, verschwommen, in diesem Fall vermutlich vage, schattenhaft, verschwommen
霊 (rei / tama) Substantiv – Seele, Geist
滝 (taki) Substantiv – Wasserfall, aufgrund des Vokals wird das „t“ hier zu einem „d“
の (no) Partikel – zeigt den Besitz an und würde im Deutschen dem Genitiv „des …“ entsprechen
伝説 (Densetsu) Substantiv – Legende

Wie hier zu sehen ist, besteht das Wort Geist (yūrei) eigentlich aus zwei Wörtern. Nämlich aus vage und Seele. Das leuchtet ein, denn in der bildlichen Darstellung von japanischen Geistern sieht man häufig auch eine Seele, als Flamme stilisiert, neben den Geistern schweben.

Oben links ist die Flamme zu sehen. Das Bild zeigt Oiwa aus dem Theaterstück Yotsuya Kaidan.
Künstler: Shunkosai Hokushu

Ich vermute, die Idee des Vagen rührt daher, dass man bei Yūrei grundsätzlich davon ausgeht, die Seele eines verstorbenen Menschen hätte nicht in die Totenwelt gefunden. Sie irrt/wankt in einer Art Zwischenwelt herum. Wir würden sagen, es handelt sich um eine verirrte Seele. Wörtlich übersetzt heißt der Titel der Geschichte damit einfach nur: Des Geister-Wasserfalls Legende.

Weitere Beiträge über Geistergeschichten: Die Legende von Okiku

Quellen und Anmerkungen:

*Schreine gehören zum Shintoismus, Tempel zum Buddhismus.
Japan Life and Religion
Japanische Textversion
Lafcadio Hearn: Japanische Geistergeschichten, Anaconda Verlag, 2013.
Wörterbuch Japanisch-Deutsch Wadoku

Aktuelles, Gedanken-Mix

Ihr seid gefragt

Wer einen Roman beendet, stellt sich stets die Frage: Wie geht es weiter? Oder besser: Was werde ich als nächstes schreiben? Und genau vor dieser Entscheidung stehe ich gerade. Wie ich euch hier auf dem Blog mitgeteilt habe, werde ich auch in diesem Jahr an dem Schreibmonat (NaNoWriMo) teilnehmen und an zwei verschiedenen Projekten arbeiten. Projekt eins ist klar: Band zwei meiner Reihe Silver Coin 203. Projekt zwei ist jedoch offen. Da kam mir die Idee, euch in meinen Entscheidungsprozess einzubeziehen und eine Umfrage zu starten. Deshalb stelle ich euch in diesem Beitrag die zwei Projekte vor, die ich gern schreiben möchte. Ich würde mich freuen, wenn ihr am Ende eure Stimme abgebt. Viel Spaß beim Lesen.


lichtinmakkuro

Licht in Makkuro

Genre: Fantasy, Grusel

Umfang: etwa 25.000 Wörter

Prämisse: Wovor wir uns wirklich fürchten sollten, sind nicht die dunklen Orte der Welt.

Kurzzusammenfassung: Ebony und ihre Eltern sind vor Jahren nach Makkuro verbannt worden. Ein Dorf, das tief unter der Erde liegt und beinahe vollständig ohne Licht auskommen muss. Die junge Frau erinnert sich noch an eine Zeit, in der sie in strahlendem Sonnenschein lebte und wünscht sich nichts mehr, als endlich dorthin zurückzukehren. Gerade als sie alle Hoffnung verloren hat, taucht unter dem Totenbaum im Zentrum des Dorfes ein helles Licht auf. Das Zeichen dafür, dass die Oberirdischen einem Einzigen die Chance gewähren, oberhalb der Erde das Glück zu finden. Ebony reagiert sofort, schnappt sich das Licht und macht sich auf den beschwerlichen Weg hinauf nach Lichtland. Doch was sie nicht weiß, es ist in Wirklichkeit gar nicht die Dunkelheit, die ihr Angst machen sollte, sondern jene Menschen aus anderen Dörfern, die genauso verzweifelt versuchen, an die Oberfläche zu gelangen.


sturmgeister

Sturmgeister

Genre: Geistergeschichte, Psychodrama

Umfang: etwa 25.000 Wörter

Prämisse: Es sind die Geister der Vergangenheit, die uns niemals loslassen.

Kurzzusammenfassung: Yoshitaka ist gerade 21 Jahre alt geworden und damit endlich erwachsen. Einen Tag nach seiner berauschenden Feier im Iizakaya findet er sich plötzlich in einem alten japanischen Haus wieder. An seiner Seite ein merkwürdig affenartiges Tier, das sich nicht abschütteln lässt. Als er nach und nach das Haus erkundet, begegnet er nicht nur völlig verängstigen Menschen, die dort eingesperrt sind und von einem Fluch sprechen, sondern auch Geistergestalten, die aus den Ritzen der Wände kriechen und versuchen, ihn zu töten. Doch was es genau mit diesen Wesen auf sich hat und weshalb sie Yoshitaka so bekannt vorkommen, erfährt er erst, wenn er den Fluch lösen kann. Anderenfalls wird er genauso enden wie alle in dem Haus.


Und nun kommen wir zur Umfrage. Ich weiß, um richtig bewerten zu können, welche Geschichte ihr gern lesen wollt, müsste ich euch wohl noch eine Leseprobe zeigen, allerdings stecken beide Projekte in den Kinderschuhen, weshalb ich darauf verzichte. Wählt einfach das Projekt aus, welches euch spontan und intuitiv am ehesten zusagt.


Bildquelle:

Licht

Japanisches Haus