Wer in einem kreativen Beruf arbeitet, kennt sie sehr gut, die Zweifel am eigenen Schaffen. Allein die Vielzahl an persönlichen Blogbeiträgen von Autor*innen zeigt, wie omnipräsent das Thema ist. Auch ich komme in meiner täglichen Arbeit immer wieder an den Punkt, an dem ich mich selbst und meine Tätigkeit in Frage stelle. Daher wird es Zeit, mich einmal näher mit dem Zweifeln zu beschäftigen, was ist es genau und weshalb trifft es Kreative besonders stark?
Der arme Poet
Kennt ihr das Bild vom armen Poeten? Es ist ein Ölgemälde des Malers Carl Spitzweg, das einen Schriftsteller in seiner Dachgeschosswohnung zeigt. Ein Regenschirm ist aufgespannt, um Wasser abzuhalten, das durch das Dach tropft. Eine einsame Wäscheleine mit löchrigem Trockentuch hängt mitten im Raum, das Bett ist eine Matratze, der Ofen stößt an die Füße und überall liegen Bücher und Zeitungen herum. Das abschreckende Bild eines armen Mannes – könnte man meinen – und brand aktuell, bedenkt man wie wenig Autor*innen* mit dem Verkauf ihrer Bücher verdienen*. Oder hart ausgedrückt, wie wenig diese Form der Arbeit in unserer Gesellschaft wertgeschätzt wird. Wie oft sie sogar belächelt wird, solange man keinen nennenswerten Erfolg damit hat. Ich möchte die Vermutung aufstellen, dass die Sicht auf das Gemälde von Spitzweg stellvertretend für den Ursprung des Zweifelns an der kreativen Arbeit von Autor*innen steht. Zuerst jedoch eine Definition.

Definition
Zweifeln. Im Wortsinn bezieht sich Zweifeln auf eine Unsicherheit in uns, die sich um Entscheidungen, Taten, Vertrauen oder auch Fähigkeiten beziehen kann. Ist das, was ich tue sinnvoll, ist es überhaupt richtig? Ich möchte behaupten, gerade dann, wenn uns etwas besonders wichtig ist, zweifeln wir am meisten. Während das reine Zweifeln nur eine vorübergehende Unsicherheit darstellt, ist das Verzweifeln ein kaum zu ertragender Zustand. Die Zweifel werden so groß, dass kein Ausweg mehr möglich ist.
Freigeist. Das Wort entstand im 18. Jahrhundert und wurde negativ konnotiert benutzt, um Personen zu bezeichnen, die sich abseits von religiösen Glaubensvorstellungen bewegten. Heute hat er eine positive Bedeutung, die eng mit dem Gedanken verbunden ist, sich eigenständig Werte und Moralvorstellungen, unabhängig von festen Vorstellungen, aneignen zu können. Es handelt sich also um eine Personengruppe, die sich nicht in die gegebene Gesellschaft einfügt, sondern vielmehr außen Vor sind.
„Der neuzeitlich im Positiven benutzte Begriff Freigeist beinhaltet die Intention, sich eigenständig über persönliche sowie gesellschaftspolitisch liberale Werte zu identifizieren und auszudrücken. “ (wertsysteme.de)
Nicht die Butter vom Brot nehmen lassen
Es ist kein Geheimnis, dass wir uns in einer Gesellschaft befinden, die auf Produktivität und Gewinn ausgerichtet ist. Erfolg wird daran gemessen, wie viel finanzielles Kapital wir besitzen, ob wir ein großes Haus haben, ein Auto oder anderes, das zeigt, was wir haben. Das sind Standards, die sich im Rahmen der Industrialisierung und der boomenden Nachkriegszeit immer mehr verfestigt haben. Sie haben ältere, glaubensgeprägte Normen abgelöst. Zahlen drücken in unserer Zeit aus, wie unsere Fähigkeiten zu bewerten sind. Ob das unser Einkommen ist, die Anzahl von Freunden auf Social Media Plattformen oder Noten in der Schule. Immer müssen sichtbare Beweise erbracht werden, damit wir Anerkennung bekommen. Das heißt, wer als Autorin wenig verdient oder zum Beispiel seine Tätigkeit durch einen Brotjob finanziert, sich also vom Schreiben keine nachweislichen Güter kaufen kann, hat keinen Erfolg. In dem Sinne ist eine der beliebtesten Fragen an Autor*innen „Wie viel verdienst du denn mit den Büchern?“ Wer darauf keine Antwort hat, herumdruckst oder z. B. antwortet: „Fast nichts, denn das Verlagsgeschäft ist hart“ wird in seiner Tätigkeit häufig nicht ernst genommen. Die Zweifel sind vorprogammiert. Hobby vs. Beruf sind hier die Schlagworte, dabei gibt es durchaus andere, wichtige Parameter für den Wert von kreativer Arbeit. Die Tiefe der Gedanken, die literarische Qualität oder die Kunst Worte neu zu erfinden. Doch davon ist eher selten die Rede. Manch eine Autor*in bringt jährlich drei Bücher heraus, um einen nennenswerten Verdienst zu generieren – Moderne Fließbandarbeit.
Kommen wir zurück zu den Zweifeln. Nach der oben stehenden Definition sind sie negativ zu bewerten, denn sie bilden ein Kontra zum selbstbewusst auftretenden Menschen. Wer zweifelt, sprich unsicher ist, zeigt Schwäche, und Schwäche ist schlecht. Schwach sein heißt, sich die Butter vom Brot nehmen zu lassen und am Ende mit Nichts dazustehen. Wer so dumm ist, das zuzulassen, hat, zugespitzt, selbst Pech. Dieses Modell des „der Stärkere siegt“, ist für Kreative sehr ermüdend.
Produktion ohne sichtbaren Erfolg
Der arme Poet, der höchstens mal ein Buch pro Jahr produziert, wenig besitzt und noch weniger Geld hat, ist nach unseren Standards also ein Verlierer. Kaum jemand wird sich sein Los wünschen. Kein Wunder also, dass Fragen à la „Wie habe ich Erfolg?“, „Was ist Erfolg?“, „Muss ich einen Bestseller schreiben, um Autor*in zu sein?“ einen zum Verzweifeln bringen können. Aus diesem Grund wachsen Ratgeber aus dem Boden, die mit Tipps dazu nur so um sich werfen. Da wird zum Beispiel gesagt, wie oft Autor*innen auf Social Media Kanälen Beitrage teilen sollen, damit sie mehr Reichweite bekommen, also sichtbare Beweise ihres Erfolgs liefern können. Ich erinnere mich noch dunkel daran, dass es die magische Zahl von drei Beiträgen pro Tag zu einer festen Uhrzeit als Tipp gab (morgens, mittags, abends). Angenommen ich bin auf Facebook, Instagram, Twitter und meiner eigenen Webseite aktiv. Wenn ich also davon ausgehe, ich müsste auf allen vier Plattformen** täglich drei Beiträge veröffentlichen, komme ich auf die Zahl von zwölf. Zwölf Postings pro Tag, die je nach Plattform in Umfang und Gehalt differieren und bitte auch noch jeweils anders sein müssen. Für ein Posting brauche ich mindestens zehn bis zwanzig Minuten. Rechne ich das mal zwölf ergibt sich eine Summe, die nicht zu schaffen ist. Bei einem Vortrag zum Thema vor etwa drei Jahren fragte ich einen der Vortragenden, was genau ich denn als Autorin zum Beispiel für Inhalte teilen soll, damit sie interessant sind. Seltsamerweise gab es darauf keine Antwort. Hauptsache irgendwas. Zahlen, Zahlen, Zahlen. Auf Knopfdruck produzieren, als ob ich am Band stehe und ein Auto zusammenschraube, nur das keiner weiß, ob es ein Auto wird oder doch ein Stuhl …? Sich an diese Tipps zu halten mindert die Unsicherheiten meiner Erfahrung nach überhaupt nicht. Im Gegenteil es verstärkt sie nur. Ein echter Teufelskreis, der dazu führt, dass produziert, produziert und produziert wird, ohne dass es sichtbare Erfolge gibt. Frustrierend und unnötig.
Der Freigeist
Das klingt bis dato ja alles irgendwie weniger schön. Als ob ich als Kreative nicht so richtig zu unserer Gesellschaft passe. Und ja, das ist so. Ich würde behaupten, dass Kreative nicht die Pflicht haben, ihren Erfolg in Zahlen auszudrücken. Denn schaue ich mir die Rolle von Autor*innen anhand der Definition des Freigeistes genauer an, wird doch offensichtlich, dass es darum geht, eigenständige Werte zu schaffen, mit denen ich mich persönlich identifiziere. Einen freien Geist haben. Das ist unsere Stärke, wir entsprechen eben nicht dem Standard und werden deshalb argwöhnisch beäugt. Das ist jetzt so, das war schon früher so und das wird wohl immer so bleiben. Das bedeutet nicht, dass wir weniger erfolgreich sind, wird arbeiten nur anders. Zweifel gehören aus den oben genannten Gründen eben einfach dazu, sie müssen nicht zwingend negativ sein, da sie oft zu neuen Erkenntnissen führen, die (ich werfe das jetzt provokativ in den Raum) Menschen mit einer allzu starren Vorstellung von der Welt nie haben werden. Lange Rede kurzer Sinn: Das Zweifeln gehört zur literarischen Arbeit dazu und macht sie sogar aus.
+Mika+
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*Hierzu empfehle ich die Artikel zur Insolvenzmeldung von KNV oder aber den Aufschrei bezüglich der Nichtzahlung von Tantiemen in einem Kleinverlag.
**Der Tipp galt für Facebook, jede Social Media Plattform muss anders gepflegt werden, ich habe hier vereinfacht.
Quellen
https://karrierebibel.de/zweifel-skepsis/ (Für und Wider des Zweifelns im Beruf)
https://freigeistmanifest.wordpress.com/
Beitragsbild: Mika M. Krüger
Hallo Dunkelfeder, liebe Mika
vielleicht erinnerst du dich an unseren kurzen mail-Austausch vor einigen Jahren, der Dir meine ‚Zweifel‘ am Beruf (zur Existenzsicherung – nicht zur Berufung seines Lebens) des ‚Schriftsteller*in‘ zu begründen versuchte. Unter anderem mit einem Beitrag von (verstorbenen) Thomas Bernhard ….
Ich sehe nun in deinem – sehr gelungenen Beitrag Zweifel – dass dies angekommen ist. Danke, ich nehme diese Erkenntnis als deine (nicht erfolgte, obwohl zugesagte) Antwort auf meine damals und heute vertretene Auffassung: L’art pour l’art – und nicht um damit sein Leben zu finanzieren. Wenn man/frau das mal begriffen hat macht jegliche Kunst auch wieder Freude.
Ich wünsche dir dieses Glück.
In alter Zuneigung für deine Gabe
Roland
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Hallo Roland,
ich erinnere mich noch an den Emailausstausch. Vielen Dank für deine Antwort auch heute und dass du tatsächlich immer noch mitliest.
Grüße Mika
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Natürlich lese ich alle deine Beiträge im Blog mit (wie auch die deiner Freundin Stella) denn mir gefällt deine Gabe.
Mach nur unbekümmert weiter – ohne auf Ruhm oder Geld zu schielen. So wie alle echten Künstler. Sie sind (das habe ich dir schon mehrmals geschrieben) im Gräsermeer der Menschen die Blumen. Das genügt allein schon – vielen Anderen Freude zu bringen.
Liebe Grüße
Roland
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Da müsste jeder Kreative gleich wertgeschätzt werden. Ob er mit Ton, Farbe oder Worten arbeitet.
Und wenn jeder Kreative „angemessen“ entlohnt würde- wer soll das bezahlen?
Wer bestimmt „deine Kreativität ist mehr wert“? Und wie viel ist das genau?
Richtig, der Käufer, denn du trägst deine Kreativität als Ware zu Markte.
Und das Problem wird durch die vielen Selfpublisher, die unterm Strich meist wirklich nur Hobbyschreiber sind, die glauben verkannte Genies zu sein, verstärkt.
Verlage ertrinken in Manuskripten und wie soll man unter so vielen Einsendungen noch die eine Perle finden?
Jeder hält sich heute gleich für einen richtigen „Autor“. Und vielleicht wäre es auch besser, wenn nicht deutlich erkennbar andere Autoren im „Eine-Hand-wäscht-die-andere“ Prinzip die Bücher hypen und unzuverässige Rezensionen verfassten. Das führt echte Kunden in die Irre.
Vielleicht bin ich aber auch einfach nur eine alte Verlagsschachtel, die heute schon wieder zuviele unangefragte Manuskripte bekommen hat und beim googeln hier raus kam.
Ein kleiner vielleicht versöhnlicher Tipp: Was soll ich auf Social Media teilen?
Will man sich verkaufen (habt mich lieb, findet mich toll, ich bin so quirky), oder sein Produkt (das habe ich gemacht, das ist daran toll)? Sollte man wirklich den Durchbruch schaffen, ist jede zu persönliche Info schon zu viel.
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Hallo Melanie,
danke für deinen Kommentar. Schade, dass du dich selbst als Verlagsschachtel siehst. Ich denke, die Arbeit im Verlag ist sehr wichtig,
der ganze Frust macht die Branche nur nicht gerade sympathisch. Dein Kommentar ist für mich leider nur ein weiterer Beweis, weil er komplett an dem vorbeigeht, was ich gesagt habe.
Ich kenne ehrlich gesagt keine ernsthafte Autor*in, die glaubt, sie sei ein Genie. Die meisten haben Angst, überhaupt was zu zeigen von dem was sie machen, weil sie dauernd kritisiert werden oder mit Vorurteilen wie deinen genervt angeschaut werden. Literatur/Kunst/Musik liegt im Auge der Betrachtenden. Perlen müssen gemacht werden, die fallen nicht einfach so vom Himmel, aber die Geduld hat halt keiner. Und nein, ich rede nicht von mir, ich bin gerade sehr zufrieden so wie es läuft.
Grüße
Mika
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Hallo Mika,
leider muss ich Melanie zustimmen: Wer Bücher schreibt um sie verkaufen zu wollen, der begibt sich auf einen Markt, auf dem – gelinde gesagt – ein unverhältnismäßiges Überangebot der ‚Ware‘ Literatur den ‚Erfolg‘ bestimmt. Die Leser sind heute wählerisch, denn sie werden von allen Seiten her ‚unterhalten‘, von TV, Streaming Diensten, Theater, Kabarett, Events etc. pp.
Darum geht es doch, zu begreifen, dass jegliches Streben nach unbedingtem Veröffentlichung so gut wie aussichtslos sind – darüber zu klagen ist es ebenso.
Nein, man/frau sollte einfach Freude an ’seiner‘ Begabung haben und es tun – ohne zu erwarten, dass daraus auf einem Markt ein finanzieller Erfolg wird, von dem der Künstler leben kann.
Die Künstlerszene ist anscheinend völlig vom Turbokapitalismus_Wahn infiziert …‘ arbeite nur hart …. noch härter,… ‚ bis zum Zusammenbruch, dann schaffst du es.
Es gibt unzählige Erfolgsrezept-Bücher, das müsste doch jeden Künstler stutzig machen. Die einzigen die damit Erfolg haben, sind deren Autor*innen.
Ich schreibe auch. Sehr gerne sogar – und das seit vielen Jahren. So wie ich auch Aquarelliere, nur zu meiner eigenen Freude, manchmal auch, für interessierte Freunde. Ich bin weit in der Welt herum gekommen, habe Jahre in anderen Länder gelebt und
erlebt, gearbeitet, geliebt und gelitten – so dass meine Freunde oft gesagt haben, warum schreibst du kein Buch ?? Meine Antwort war stets: Ich bin Leser, denn davon gibt es zu wenig.
Nichts für ungut.
Roland
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Hallo Roland,
obwohl ich das Thema eigentlich nicht anschneiden wollte, weil es im Beitrag nicht um Marketing/Verkauf geht, sondern um Zweifel, mache ich es jetzt doch.
Ich verstehe das sehr gut. Das ist der Grund, weshalb ich auf Messen gehe (beste Verkaufszahlen) und mir derzeit andere Strategien überlege (möglicher Online-Shop). Ich mache mich zur Geschäftsfrau. Das ist nur eben die Sache, Autor*innen sind in der Regel keine Firmen. Marketing und Vertrieb hat meistens der Verlag inne.
Meiner Beobachtung nach machen Kleinverlage für unbekannte Autor*innen deutlich mehr als Großverlage – siehe Drachenmondverlag, Dandyisdead, amrun u. v. m. Alles Verlage, die ich bewundere und schätze. Auf der anderen Seite habe ich gesehen, dass Verlage Cover für Auto*innen entworfen haben, die schlechter sind als die von Self-Publishern. Kein Layout, günstiges Design, völlig unpassend. Kritik wurde nicht angenommen. Ist ja ok, die Branche ist hart, sich dann auch noch mit meckerenden Autor*innen rumzuschlagen kann nerven. Ich kenne aber auch Autor*innen, deren Buch im Taschenbuch/Ebook bei einem namenhaften Verlag veröffentlicht worden sind und es gab nicht einmal eine Ankündigung. Was ist das für Marketing/Verkaufsstrategie? Melanies Tipps/Fragen kann man also gut und gerne zurückgeben … „Wer verkauft denn nun eigentlich das Buch? Autor*in oder Verlag?“
Mein persönlicher Eindruck/Vermutung ist, dass einige Verlage, weil Marketing neben Personal die größte Ausgabe im Unternehmen ist, dieses auf die Autor*innen auslagern. Die sind aber leider wie oben gesagt meist keine Vertriebler/Marketingspezialisten. Wenn also Verlage wollen, dass Autor*innen aktiv verkaufen, könnten sie Schulungen anbieten und informieren. Das meinte ich mit „Perlen fallen nicht vom Himmel, sondern werden gemacht“.
Zurück zu dir. Es freut mich sehr für dich, dass du da so eine ruhige, besonnene Art entwickelt hast und du dich mit deinem Leben wohlfühlst. Ja, Leser*innen gibt es viel zu wenige. Für mich ist das im Augenblick keine Option, denn ich sehe gern die Resonanz von Leser*innen zu meinen Büchern ob positiv oder negativ.
Grüße
Mika
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