Tom Lichterfeld ist eine der Erzählfiguren aus der dystopischen Reihe Silver Coin 203, deren erster Teil „Totenläufer“ im Herbst 2016 erschienen ist. Er ist gut im Umgang mit Menschen und mischt sich hier und dort ein, um Informationen für die Rebellenorganisation REKA zu sammeln.
Doch in erster Linie ist Tom Künstler und die sind bekanntlich schwer zu begreifen. Sie leben in ihrer eigenen Welt und machen vor allem das, was sie gern tun wollen, egal, ob das nun wirtschaftlich sinnvoll ist oder nicht. Sie wollen frei sein und verzichten lieber auf ihre Sicherheit, anstatt sich jemandem zu unterwerfen. Meist sind sie deshalb auch Gesellschaftskritiker, denken kreativ und analytisch. Aus diesen Überlegungen ist Tom Lichterfeld entstanden. Seine Gedanken ist logisch, folgen einem moralischen Kompass und sind stringent. Er ist die einzige Figur in Silver Coin 203, die mir leicht von der Hand ging.
Toms Rolle in Silver Coin 203
„In Wirklichkeit bin ich nur ein Künstler, der seinen Frieden will.“
Im ersten Entwurf von Silver Coin 203 hat Tom Lichterfeld nicht existiert. Er ist eher zufällig im Schreibprozess entstanden, da ich eine Figur brauchte, die in den ersten Kapiteln mehr Spannung bringt. Ursprünglich sollte er eine farblose und schnell verschwindende Person bleiben, doch Tom hatte seinen eigenen Kopf und entwickelte sich zu jemandem mit Charakter, der nun nicht mehr aus der Geschichte wegzudenken ist.
Tom nimmt im Buch ganz verschiedene Rollen ein und ist extrem anpassungsfähig. Er war Hafenarbeiter und Soldat, zeichnet für sein Leben gern und imitiert Angestellte der Verwaltung, um an sensible Informationen zu kommen. Entsprechend der jeweiligen Situation ändert er sein Verhalten und kann Menschen leicht durchschauen. So auch Neel Talwar. Gleich zu Beginn sagt er: „Ich bin ein Mensch ohne Konstanten“. Er ist immer da, wo man ihn braucht. Seine Freunde schätzen ihn allerdings für zwei ganz andere Dinge: nämlich seine Verlässlichkeit und Überzeugungskraft.
–>ab hier enthält der Beitrag mögliche Spoiler.
Tom ist jedoch eine Nebenfigur, deshalb wird gerade seine Beziehung zu Freunden im ersten Band, Totenläufer, nur zart angerissen. Toms eigentliche Funktion kommt erst im Verlauf der Geschichte richtig zum Tragen. Ganz speziell geht es um Toms Freundschaft zu Jay McCullum. Seinerseits ein großes … nun ja, Kind? Es ist essentiell für die Story, dass Tom und Jay nicht ohne einander funktionieren. Stellt euch einen Gegenstand vor, der an zwei Stellen festgeschraubt ist und plötzlich, ohne Vorwarnung, an einem Punkt den Halt verliert. Das sind Tom und Jay.
Toms Hintergrund
Tom zeichnet in einer Szene von Silver Coin 203 Red-Mon-Stadt in aller Schönheit. Er ist keine düstere Figur, niemand, der mit sich selbst Schwierigkeiten hat. Er hadert eher mit den Dingen, die in der Vergangenheit passiert sind. Als Kind lebte er in einem behüteten Zuhause, es wird vermutet, auf einem Bauernhof. Aus diesem Zuhause wurde er mit etwa zwölf Jahren herausgerissen und musste in kleinen Schritten lernen, mehr oder weniger allein klar zu kommen. Als Teenager war er ein Straßenkind ohne echtes Zuhause und fand Zuflucht in Red-Mon-Stadt. Für ihn der Inbegriff eines Ortes, der ihm Sicherheit und Geborgenheit schenkt. Ein Ort, an dem alle Menschen fair behandelt werden. Dass er auf eine Lüge hereingefallen ist, merkt er zu spät. Und als er es merkt, gründet er mit weiteren Personen die Rebellenorganisation „REKA – Revolution des kalten Sturms.“

Tom ist kein Gary Stu
Totenläufer hat zwei komplizierte Hauptfiguren, die so einige Schwächen haben. Da erscheint Tom fast ein wenig glatt gebügelt. Er hat immer eine gute Antwort parat, wirkt sehr durchdacht, ist der Ruhepol zwischen den beiden Streithähnen der REKA und noch dazu ein talentierter Künstler. Beste Voraussetzungen für einen Gary Stu. Eine allzu perfekte Figur, die jeder mögen soll und die daher nervt. Tatsächlich hat Tom seine Fehler. Die lassen sich in zwei Adjektiven zusammenfassen, er ist naiv und gutgläubig (Hey, sein bester Freund war immer zur Stelle, wenn’s mal brenzlig wurde, wie sollte es also anders sein?). Zudem hat er für den Zweck getötet. Sogar seine eigenen Leute. Es fällt bei ihm irgendwie leicht, das zu übersehen, weil er es nicht zum Thema seiner Gedanken macht, aber er hat es getan und nicht einmal ein schlechtes Gewissen.
Wenn man also ganz genau hinschaut, zeigt sich, dass er denselben Konflikt mit sich herum tragen könnte wie Neel Talwar, aber er tut es nicht. Der wesentliche Unterschied besteht darin, dass er sich selbst für seinen Weg entschieden hat. Neel wurde in seine Rolle hineingedrängt. Beide Männer sind dadurch völlig konträr. Auf der einen Seite der Mann mit dem Trauma (Neel) und auf der anderen Seite, der Mann mit den Idealen (Tom). Der eine gefangen, der andere nicht. Beide tun etwas sehr Ähnliches, verarbeiten das Erlebte jedoch auf eine ganz andere Art und Weise. Dem einen geht es auf psychologischer Ebene grauenvoll. Er hat Flashbacks, ist öfter abwesend, völlig in sich verschlossen und dem anderen geht es mit seinen Taten mehr oder weniger gut, weil er darin einen tieferen Sinn sieht – eine logische Konsequenz – ein notwendiges Übel.
Wer ist E. F.?
–>dieser Teil enthält Spoiler
Es gibt in Totenläufer die ausgedehnte Beschreibung eines Leinwandgemäldes. Man könnte sagen, das sei völlig überflüssig und trägt nicht zur Handlung bei. Das Gemälde ist jedoch eine Andeutung auf Toms Vergangenheit, denn am unteren Rand stehen die beiden Initialen E. F. Die stehen für eine Person, die maßgeblich an der Gründung der REKA beteiligt gewesen ist. Tom trägt an seiner Ferse ein kleines Tattoo mit denselben Buchstaben (steht nicht im Buch). E. F. ist für Tom und alle anderen Mitglieder der REKA eine wichtige Person. Ein*e Künstler*in, den*die Tom nicht einfach nur bewundert, sondern aus ganz verschiedenen Gründen nicht vergessen kann.

Weitere Charakterbeschreibungen
Totenläufer gibt es als Ebook und Taschenbuch bei Thalia oder auf Amazon.


Ein wunscherschöner Artikel, und sehr tiefe Einblicke.
Mir hat es besonders das Verhältnis zwischen Jay und Tom angetan. Es ist eine tiefe Freundschaft, mit ihren ganz eigenen, speziellen Regeln, die man von aussen gar nicht wirklich versteht oder verstehen kann. Eine Freundschaft, bei der der andere einen grossen Teil des eigenen Lebens ausmacht, ein grosser Teil des eigenen Leben ist. Und diesen Teil zu verlieren wäre mit einer Amputation vergleichbar. Eine Amputation ist immer heikel und extrem schmerzhaft, gefährdet das Überleben, schränkt das weitere Leben extrem ein. Und man wird immer wieder an den Verlust erinnert, ob man will oder nicht.
Es ist ein grosses Glück, eine solche Freundschaft zu haben, aber auch eine Belastung. Segen und Fluch zugleich.
Erinnert mich sehr an Aiden und Gabriel, meine Hauptfiguren aus „Solving Puzzles“. Aiden sagt mal im Scherz, sie seien wie zwei Komponenten derselben Person, wie Verstand und Gefühl. Er möchte damit betonen, wie verschieden sie zwar sind, aber auch wie unzertrennlich, denn für ihn gehört beides zusammen. Gabriel hingegen antwortet darauf, dass eine Person ohne Gefühle überleben könne, aber nicht ohne Verstand. Er macht anschliessend noch einen Scherz („Obwohl, wenn man sich in der Chefetage von Horizon so umschaut … anscheinend funktioniert es doch. Sogar ohne beides.“) – trotzdem zeigt es eine seiner tiefsten Ängste, nämlich Aiden zu verlieren.
Danke für diesen tieferen Einblick in Toms Persönlichkeit. Ich mag ihn nach wie vor sehr 🙂 (Und Jaden ja auch.)
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Vielen Dank. Ja, so eine sehr enge Freundschaft kann auch Schwierigkeiten bringen, allerdings sagt Tom ja selbst, dass er froh sein kann, überhaupt so etwas Enges zu erfahren.
Tatsächlich haben die meisten Menschen ja nie das Glück, auf so eine Person zu treffen.
Schön also, dass dir der Beitrag so gefällt. 🙂 Man fragt sich ja immer, ob man seinen eigenen Figuren überhaupt gerecht wird mit so einem Beitrag. Sie haben ja doch irgendwie ihren eigenen Kopf.
Wer von Gabriel und Aiden ist denn das Gefühl und wer der Verstand in diesem Vergleich?.
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Eigener Kopf, ganz genau 😉
Und die letzte Frage ist sehr einfach zu beantworten. Grade, weil ja in Puzzles einer von beiden Gefahr läuft, den Verstand zu verlieren (wortwörtlich und übertragen).
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Da kann ich jetzt kein „gefällt mir“ drücken, aber ich kenne nun die Antwort. 🙂
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Oh, in nächster Zeit sollte man wohl nicht Deinen Blog lesen, wenn man das erste Buch noch nicht gelesen hat. *lach*
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