Schreibarbeit, Silver Coin 203

Figuren: Rina Morita

Rina Morita ist eine der Erzählfiguren aus der dystopischen Reihe Silver Coin 203, deren erster Teil „Totenläufer“ im Herbst 2016 erschienen ist. Sie ist eine Frau, die verfolgt wird, alle Menschen, die sie liebte, verloren hat und nie weiß, ob sie den nächsten Tag überstehen wird.


Rinas Überlebensformel

Damit ich mich auf die Figuren in meinen Projekten richtig einlassen kann, mache ich mir in einem allerersten Schritt Gedanken über ihren Grundkonflikt. Daraus entwickle ich dann ein Motto, welches sich in einem Satz zusammenfassen lässt. Rinas Motto ist eines, das durch ihre Angst geprägt ist: Flucht ist der einzige Weg, um am Leben zu bleiben. Was bedeutet das im Detail? In der Welt von Red-Mon-Stadt zählt Rina zu einer unerwünschten Minderheit (Lorca). Ihnen wird unterstellt, sie hätten eine Krankheit, die wie die Pest zum Tod führt. Tatsächlich ist dies eine Lüge der Stadtverwaltung, die einen Feind schafft, um die Bevölkerung zu einen. Das funktioniert gut, denn die ganze Stadt ist gegen Lorca. Alle Lorca haben eine sehr helle Haut und eine ungewöhnliche Augenfarbe, dadurch lassen sie sich leicht erkennen. Im Jahr 2070 beginnt die Stadtverwaltung damit, die Population der Lorca auszudünnen und Rina verliert nach und nach jeden, der ihr wichtig gewesen ist. Überleben kann sie nur, weil sie sofort flüchtet, sobald Gefahr in Verzug ist. Deshalb lässt sie sich nicht auf andere Menschen ein und baut eine Distanz zu dem auf, was um sie geschieht.

Rinas Rolle in Silver Coin 203

Rina ist die Figur zwischen den Stühlen. Sie ist auf niemandes Seite und möchte im Grunde nur eins: Dass niemand mehr sterben muss. Im Gegensatz zu Neel Talwar, dem loyalen Soldaten und der Rebellenfigur Tom Lichterfeld folgt sie keinen bestimmten moralischen Prinzipien. Sie ist sprunghaft in ihren Entscheidungen und teils hoch emotional.  Vielfach kann sie ihre Entscheidungen selbst nicht erklären, sondern handelt aus einem Impuls heraus. Rina ist eine authentische Erzählfigur, die die Leserschaft nicht in die Irre führt, sondern ehrlich mit sich und ihren Emotionen ist.


Die Herausforderung, Rina zu schreiben

Rina ist häufig neben der Spur, weil sie sich in Erinnerungen verliert, die flashbackartig auftauchen und nicht mehr sind, als unsortierte Fragmente. Sie ist sehr sparsam mit Worten und hat einen melancholischen Redestil. Noch dazu ist sie niemand mit Einfluss, hat kein Netzwerk, ist im Grunde völlig allein. Sie ist nicht der Polizist, der logisch sein Vorgehen plant und Strategien austüftelt, denn das passt nicht zu ihrem Charakter. Ihr Vorteil besteht in ihrer Andersartigkeit, ihrem Lorcatum, denn durch diese wird sie von den Rebellen besonders zuvorkommend behandelt und kann sich so einige Fehltritte erlauben, die sonst niemand toleriert hätte.

Einige weitere Details über Rina

  • Wenn Rina nervös wird, juckt sie die Haut am Unterarm und sie fängt unterbewusst an, die Stelle aufzukratzen.
  • Rina macht sich nicht viel aus Schönheit. Was für sie zählt, sind innere Werte. Ganz besonders dann, wenn das Gegenüber Eigenschaften hat, die sie selbst nicht mitbringt.
  • Rina lebte ein Jahr lang mit einer Gruppe von Lorca in einer kleinen Wohnung zusammen. Dort wurde sie von einem alten Mann namens Viktor versteckt. Zu ihm hat sie eine Verbindung aufgebaut und noch heute hört sie manchmal seine Worte, die sie motivieren oder antreiben. Vieles, was sie über Red-Mon-Stadt weiß, hat ihr Viktor erzählt.

Wieso wollte ich über eine Frau wie Rina schreiben?

Ich muss gestehen, dass die allerersten Kapitel meines Projekts aus Neel Talwars Sicht entstanden sind und ich mir dann dachte, dass es so nicht funktioniert. Mir wurde bewusst, dass seine Geschichte nur dann interessant wird, wenn seine Motive im Dunkeln bleiben. Eine zweite Person musste her, die diese Motive herausfinden sollte. Das ist Rina. Und ich möchte an dieser Stelle sagen, dass ich sie für stärker halte als Neel Talwar. Warum? Weil sie sich selbst treu geblieben ist.


rina
Das sollte sich Rina wirklich zu Herzen nehmen: „Angst hat zwei Bedeutungen: Vergiss alles und lauf oder Stelle dich allem und wachse. Es ist deine Entscheidung.“

Beitragsbild aus Flickr.com von Elektrollart


Beitragsbild aus Flickr.com von Sean MacEntee

Quelle Zitat: The Chive

 

5 Gedanken zu „Figuren: Rina Morita“

  1. Für mich ist dieser Artikel der entgültige Beweis, dass du nichts an Rina ändern musst.

    Sie passt. Zu der Geschichte, die du erzählen willst. Zu den anderen Figuren in der Geschichte (auf eine Art, die ich ‚contrast and complete‘ nenne. Kann ich dir bei Gelegenheit mal erläutern).

    Und es ist nicht schlimm, wenn Leser zunächst nichts mit ihr anfangen können. Denn der Grund dafür ist nicht, dass sie eine oberflächliche oder langweilige Figur ist. Im Gegenteil – man spürt, dass da mehr zu ihr gehört als diese Melancholie, diese Einsamkeit. Das Problem ist, dass man sofort wissen möchte, was das ist. Und dass Rina das eben nicht sofort preisgibt.

    Wie im wahren Leben: Man lernt jemanden kennen. Möchte diesen jemand vielleicht sogar mögen. Doch dieser zeigt sich verschlossen und abweisend. Oder erhält sich ’seltsam‘. Man könnte jetzt einfach mit der Schulter zucken und weggehen. Doch irgendetwas hält einen fest. Das Wissen, dass dieser jemand nicht freiwillig so ist. Dass sich etwas unter dieser äusseren Schicht befindet, das nicht nur das Verhalten erklärt, sondern auch speziell und einzigartig ist.

    Also versucht man, dieses etwas hervorzuholen. Oder die Person dazu zu bringen, es zu zeigen. Doch verständlicherweise geht das nicht „einfach so“ und auch nicht so schnell … Wer ist schon bereit, jemandem, den man grade erst kennengelernt hat, sofort alle dunklen Geheimnisse und Kindheitstraumata anzuvertrauen?

    Vertrauen ist das Stichwort. Es muss erst aufgebaut werden, und das geht langsam. Manchmal scheint es auch zu stagnieren. Das kann extrem frustrierend sein. Viele Menschen geben auf. Doch einige halten durch und werden am Ende dafür belohnt. Nicht nur mit Vertrauen und einer ganz speziellen Beziehung, die man so aufgebaut hat, sondern auch mit Erkenntnissen über sich selbst. Denn letztlich enthüllt jede Begegnung mit einer Person, die so ganz anders ist als wir, etwas über uns selbst.

    Und das kann Rina leisten. Als Figur ist sie weniger ein ‚Identifikator‘ (jemand, in dem der Leser mühelos sich selbst sieht) – was aber kein Problem ist, da diese Rolle von anderen Figuren übernommen wird, je nach Lesergeschmack – sondern eher ein ‚Katalyst‘ (jemand, der Reaktionen auslöst, bei anderen Figuren, aber auch beim Leser).

    Das mag zunächst unbequem sein, wird aber letztlich einen viel grösseren Effekt erreichen als eine ‚einfache‘ angenehme Figur.

    Und genau wegen dieses Effekts ist Rina perfekt so, wie sie ist.

    (Ganz zu schweigen von den Lesern, die sich mit Rina identifizieren werden, weil sie ihren Grundkonflikt verstehen … je klarer dieser wird, desto zugänglicher wird Rina als Figur, weil viele diesen Koflikt selbst kennen, oder zumindest nachvollziehen können.)

    Ich finde es grossartig zu sehen, wie viele Gedanken in die Charakterisierung eingeflossen sind, und wie Rina als Figur immer komplexer und greifbarer wird. Ich freue mich wirkich schon darauf, sie näher kennenzulernen 🙂

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    1. Oh Stella, ich danke dir so sehr für diesen unglaublich ausführlichem und konstruktiven Kommentar. Ich denke, du hast wirklich den Kern der Sache getroffen. Darum hoffe ich, dass dich Rina im Buch überzeugen kann. Es wird sicherlich noch einige Änderungen geben, aber diese betreffen nicht ihren Charakter. Das wäre auch zu viel. Sie sind viel eher Story bedingt und hängen mit einigen Aussagen zusammen, die noch nicht ganz stimmig sind. Mal sehen, wie alles ankommt, wenn das Buch dann im Oktober auf dem Markt ist.
      +Mika+

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  2. Gibt es auch Lorca, die sich versuchen, sich äußerlich anzupassen – Kontaktlinsen, Make-Up, Schals, Sonnenbrillen – um nicht als Lorca erkannt zu werden? Wenn ja, warum tut Rina das nicht? Wahrscheinlich hat sie einen guten Grund dafür, der widerum einiges über sie aussagt.

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    1. Hallo Jeljenna, vielen Dank für deinen Kommentar. Also ja, es gibt sicher Lorca, die sich temporär auf die Art verstecken, aber da Red-Mon-Stadt ein ausgeklügeltes Sicherheitssystem hat, ist es nicht leicht, das langfristig zu tun. Über kurz oder lang wird also jeder gefunden. Einige Meister der Verkleidung gibt es jedocb bestimmt. Wäre eine interessante Idee für eine Kurzgeschichte.
      +Mika+

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