Schreibarbeit

Wenn Wörter irreführen: Von Augen und Blicken

Die deutsche Sprache kann einen manchmal in die Verzweiflung treiben. Doch neben den üblichen Verdächtigen wie „wegen“ mit Genitiv oder „dass“ vs. „das“, gibt es auch einige nicht ganz so offensichtliche Hürden. Eine davon ist die Wortbedeutung selbst. Gerade wenn wir glauben, einen in sich schlüssigen Satz geschrieben zu haben, stellt sich heraus, dass da irgendetwas nicht stimmt. Die Tatverdächtigen heute: „Augen“ und „Blick“.


Wenn Augen wandern

Es war einmal an einem Augusttag im Jahr 2016, als eine Autorin über ihrem Manuskript brütete und feststellte, dass sie womöglich zu oft das Wort „Blick“ in ihrem Text verwendete. Bemüht dies zu ändern, startete sie eine Suche in Word und begann, jeden Satz, in dem „Blick“ vorkam, akribisch herauszuarbeiten und sich eine Alternative zu überlegen. Ganz besonders gefiel ihr, nicht lange zu fackeln und das Wort zu ersetzen. Das erforderte nicht mehr als einen Klick. Schwupp und weg ist die böse Wiederholung. Bis ihr etwas Entscheidendes auffiel. Sie machte einen grundlegenden Fehler …

Kommen euch diese Sätze bekannt vor: „Meine Augen schweiften über die Szenerie“ und „Seine Augen wanderten zu ihr“? Stört euch daran etwas? Nichts, nein? Dann denkt ihr genauso wie ich. An alle anderen: Ihr seid uns schon einen Schritt voraus, denn in den Beispielen wird das Wort „Augen“ völlig falsch verwendet. Jedem Lektor rollen sich da die Fußnägel hoch. Warum? Ganz einfach, Körperteile können sich nicht selbstständig bewegen. Sie können nicht wandern oder schweifen oder laufen oder rennen oder oder oder. Wenn man sich das nämlich einmal genau vorstellt, also wie Augen losgelöst vom Körper auf Wanderschaft gehen, dann kommt da etwas unfreiwillig Komisches heraus. Oder wir lesen vielleicht gerade einen Horror Roman mit dem Titel „Die Augen des Todes“, und dort wandern sie geisterhaft durch die Flure eines Hotels und verfolgen den Protagonisten bis in den Tod! Ersetzt man nun das falsche Wort durch „Blick“ ergibt alles einen Sinn, denn logisch, der zeigt eine Richtung oder Bewegung an, ist also kein starres Objekt. Das klingt jetzt alles sehr nach Wortklauberei, ich weiß. Aber (!) es gibt Leser, die genau über solche „Unsinnigkeiten“ stolpern und genervt mit den Augen rollen, wenn sie so etwas entdecken. Und es wäre ja wirklich schade, wenn dadurch der Eindruck einer Szene schlechter ausfällt oder eine ernste Textpassage zum Lacher wird.


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Bei so einem Thema kann schon mal Verwirrung aufkommen. Zumindest bei mir.

Sprichwörter und Floskeln, in denen sich Augen von selbst bewegen

Es gibt allerdings Ausdrücke, die bei genauer Betrachtung keinen Sinn machen, aber funktionieren. Das ist bei Redewendungen der Fall. Sie haben sich in unseren Sprachgebrauch eingeschlichen und eine eigenständige Bedeutung entwickelt. Keiner würde sie jemals hinterfragen, denn sie stehen einfach fest. Dazu zählen bspw. „Ich fasse es ins Auge“ oder „Geh mir aus den Augen“ oder „Etwas aus den Augen verlieren“. Auch in diesen Sätzen wird eine Tätigkeiten durchgeführt, die logisch durchdacht nicht gemacht werden kann. Es ist ja nicht so, dass wir diesem „es“ wirklich ins Auge greifen, da wirklich jemand in unserem Auge sitzt oder uns etwas aus dem Auge herausfällt. Vielmehr handelt es sich um eine Kombination von Wörtern, deren Bedeutung sich nicht aus ihren Einzelteilen ergibt. Im konkreten Fall „Ich fass es ins Auge“ gleich „Ich ziehe es in Betracht“. „Geh mir aus den Augen“ gleich „Verschwinde“. „Etwas aus den Augen verlieren“ gleich „Nicht mehr daran denken/etwas vergessen usw.“


Alternativen für das Wort „Blick“

Nun aber zurück zu der Autorin, die noch immer vor einem Problem steht. Wie kann sie das verhasste Wort „Blick“ ersetzen? Gibt es da überhaupt gute Alternativen? Um eine Lösung zu finden, habe ich mir Rat gesucht. Zuerst bei den Autoren von Qindie und danach in einer Gruppe für Self-Publisher bei Facebook. Die wichtigsten Ergebnisse aus den beiden Diskussionen habe ich hier zusammengefasst:

  • Besser und literarisch geschickter ist es, die Person aktiv etwas tun zu lassen. So zum Beispiel, dass sie/er sein Gegenüber „taxiert“, „mustert“, „betrachtet“ und vieles mehr. Also nicht: „Ich warf ihm einen Blick zu“, sondern „Ich musterte ihn argwöhnisch“.
  • Wenn sich Figuren unterhalten, schauen sie sich meist an, weshalb es nicht notwendig ist, diese Tätigkeit zu beschreiben. Zum Beispiel: „Verschwinde“, sagte ich und warf ihm einen drohenden Blick zu. Der letzte Teil kann einfach gelöscht werden, ohne, dass der Inhalt verloren geht.
  • Anstelle des Blicks können andere Dinge beschrieben werden, die von der Erzählerfigur „gesehen“ werden. Bspw.: „Er strich über den Holztisch“ oder „Seine Miene war starr auf einen Punkt gerichtet“ oder „Sie lief durch den Raum und verschaffte sich einen Überblick von der Situation“.
  • In bestimmten Genres wird jedoch beabsichtigt darauf verzichtet, sich an die strengen Vorgaben der deutschen Sprache zu halten. Zitat: „Bei Romanzen oder leichter Chick-Lit bedient man sich bewusst an Klischees. Da bietet es sich an, Personifikationen und (gewagte) Metaphern zu benutzen. Da ‚tanzen Finger über die Haut‘, da ’streichelt man mit Blicken‘. Das ist kürzer und wirkt unmittelbarer. “ Victoria Linnea, Lektorin bei Qindie. Es sollte jedoch immer abgewogen werden, ob eine solche Formulierung in den Zusammenhang passt oder nicht.

Die traurige Wahrheit ist jedoch, dass es kein Synonym für „Blick“ gibt. Um dieses Wort zu ersetzen, ist es nötig, sich in die Szene hineinzudenken und als erstes zu überlegen, ob die Tätigkeit gebraucht wird. Wenn nicht, sollte sie gestrichen werden. Wenn ja, sollte genau durchdacht werden, welche alternativen Möglichkeiten es gibt. Diese müssen natürlich zur Atmosphäre, den Figuren und dem eigenen Schreibstil passen. Einfach ist das nicht, aber es macht Spaß!


Ein praxisnahes Beispiel aus meiner aktuellen Überarbeitung

Damit ihr euch besser vorstellen könnt, was ich genau meine, gebe ich hier ein Beispiel aus meinem Manuskript.

  • Dabei immer in Bewegung bleiben, die Umgebung im Blick haben und keine wirren Gedanken zulassen.
  • Dabei immer in Bewegung bleiben, auf jede Person oder potentielle Bedrohung im Umkreis achten und nur keine wirren Gedanken zulassen.

Ich verabschiede mich an der Stelle und hoffe, ihr hattet Spaß mit meinem Beitrag.

+Mika+

9 Gedanken zu „Wenn Wörter irreführen: Von Augen und Blicken“

  1. Cooler Beitrag! Über so etwas denke ich auch manchmal nach und schwanke dann zwischen „das gibt es einfach nicht“ (also z. B. dass Augen wandern) und „des Künstlers Freiheit“ (eben eine Personifizierung zu verwenden). Ich kann mir gut vorstellen, dass die „Vermeidungsstrategie“ gut und oft funktioniert, also den „Blick“ ganz weg zu lassen und stattdessen eine Tätigkeit zu beschreiben. Das sieht man ja an deinem Beispiel 😉 Viele Grüße!

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    1. Hey Michaela,
      ja, es gibt auch nicht ‚den‘ Weg. Mir macht es unheimlich viel Spaß, mir Gedanken über die Feinheiten der deutschen Sprache zu machen. Meine Äußerungen klingen dann zwar absolut, aber in Wirklichkeit denke ich viel flexibler und übersehe Vieles, wenn ich einen Text richtig gut finde.
      Kennst du noch solche Ausdrücke? Würde mich sehr interessieren.
      +Mika+

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      1. Da würde mir spontan so etwas einfallen wie „Schritte nähern sich“. Bei dem Ausdruck bin ich mir nicht so sicher, ob er stimmt, also ob Schritte sich nähern können. Oder man sich nicht vielmehr „mit großen/kleinen/lauten… Schritten nähert“. Oder vielleicht dass sich „das Geräusch von Schritten nähert“, vielleicht auch einfach „lauter wird“, da ich auch nicht weiß, ob sich ein Geräusch nähern kann… 🙂
        Aber dein Beispiel mit den Augen kommt wohl viel häufiger vor. Für weitere Beispiele müsste ich noch länger nachdenken. Evtl. auch meine eigenen Texte durchschauen, ob sich da etwas findet, das es so eigentlich nicht gibt 😉
        Viele Grüße!
        Michaela

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      2. Stimmt. Den Ausdruck „Schritte nähern sich“ verwende ich auch. Da würde ich aber fast sagen, dass es funktioniert, weil man eigentlich nur die restlichen Elemente des Satzes weglässt. Vollständig korrekt müsste es ja heißen: „Ich höre, wie sich Schritte nähern.“ Das ist ja möglich, ich wüsste auch nicht, wie man das anders ausdrücken sollte. Die Kurzform ist dann: „Schritte nähern sich“. Solange das aus dem Kontext klar ist, dürfte es da keine Schwierigkeiten geben. Aber ja, ich weiß ganz genau, was du damit meinst. Solche Überlegungen treiben mich manchmal fast in den Wahnsinn. 😀

        +Mika+

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  2. Erst heute hatte ich einen Satz editiert, wo die Augen ein Eigenleben entwickeln. Daran musste ich jetzt gerade wieder denken, nachdem ich deinen Post gelesen habe. Nach einem kurzen Moment der Panik, war ich dann jedoch überglücklich, dass ich auf Englisch schreibe, wo das Problem (zwecks mangelnder Alternative) nicht so groß ist (hoffe ich jedenfalls; sicherlich eine Diskussion mit einer australischen Freundin von mir wert). Dass Sprachen es einem aber auch immer so schwer machen müssen 😛

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    1. Hey Christian, ich habe in meinem Beitrag auch noch so einen Ausdruck, der „nicht ganz passt“. Wie man merkt, gibt es immer Bedarf zum Diskuzieren und am Ende müsste man alle Vergleiche, Metaphern und so weiter streichen, wenn man überkritisch ist. Aber dann bleibt auch nichts mehr von der Literatur übrig.
      In dem Sinne gilt ja das Prinzip: Solange es der Leser nicht merkt, ist alles in Ordnung!
      +Mika+

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      1. Überkritische Leser wird man wohl immer finden, die alles zerpflücken 😛 (ähnlich wie bei Filmen). Da hilft nur, das Ganze gut zu verpacken, haha 😀

        Ist aber sicher auch eine Frage, wo etwas wirklich falsch klingt oder eine etablierte Redewendung/Metapher ist.

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  3. Hey Mika =),
    ein wirklich informativer Beitrag 🙂 und dazu noch schön ausgeschrieben.
    Dies werden wohl auch Punkte sein, die ich bei mir berücksichtigen muss ^_^ danke für die Hinweise und weiterhin viel Erfolg :3

    Liebe Grüße
    Sarah

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    1. Hey Sarah,
      danke für das Lob. Ich denke, es ist wichtig, dass man sich der Feinheiten bewusst ist und sich zum Beispiel trotzdem für diese Wendung entscheidet, weil sie einfach passt oder sich richtig anfühlt.
      Ich wünsche dir auch viel Erfolg. Vor allem mit Wilfried und seinen Träumen.
      +Mika+

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